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26. März 2018 — Neumayer Ethics Council

Sunzi und die 4 Key Indikatoren der angemessenen Risikokultur - Blog 2

Accountability ist mehr als Responsibility

Als Sunzi vom König von Wu gebeten wurde, die Effizienz seiner Theorie über die Kunst des Krieges einer praktischen Prüfung zu unterziehen, begann Sunzi die Damen (!) des Palastes zu drillen. Sunzis Anweisungen waren ganz klar und je eine der beiden Lieblingskonkubinen des Königs übernahm die Verantwortung für eine Abteilung. Die Mädchen aber nahmen die Übung zunächst nicht ernst – Sunzis erster Versuch endete mit schallendem Gelächter der Frauen. Er ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen, sondern erklärte: „Wenn die Kommandoworte nicht klar und deutlich sind, wenn die Befehle nicht richtig verstanden werden, dann trifft die Schuld den General“. Zunächst also nahm Sunzi seine eigene Verantwortung und Verantwortlichkeit wahr. Er gab erneut die Befehle – ganz klar und deutlich. Doch wieder bekamen die Mädchen nur Lachkrämpfe. Möglicherweise haben die Lieblingsfreundinnen des Königs am lautesten gelacht. Jedenfalls sagte Sunzi: „Wenn die Kommandoworte nicht klar und deutlich sind, wenn die Befehle nicht richtig verstanden werden, dann trifft die Schuld den General. Doch wenn seine Befehle klar sind und die Soldaten dennoch nicht gehorchen, dann ist es die Schuld der Offiziere“. Und er gab den Befehl, die beiden Anführerinnen zu enthaupten. Dem König – der alles beobachtet hatte – gefiel diese Entwicklung verständlicherweise nicht und er ließ Sunzi wissen, dass er nicht wünsche, dass seine Konkubinen hingerichtet würden. Doch nun folgte eine weitere Lektion. Sunzi erwiderte: „Nachdem ich einmal die Ernennung zum General erhalten habe, gibt es gewisse Befehle des Königs, die ich, wenn ich als General handle, nicht akzeptieren kann.“ Sodann ließ er die beiden Mädchen enthaupten. Danach lief der Drill ganz wunderbar und Sunzi teilte dem König bald mit, dass seine Truppen nun richtig ausgebildet und zur Inspektion bereit seien. Doch dem König war die Lust vergangen und er wollte die Mädchentruppe nicht inspizieren. Wir ahnen, wie die Anekdote nun fortfährt… Sunzi sagte nur kühl: „Der König mag schöne Worte, doch er setzt sie nicht in Taten um“. Daraufhin ernannte der König Sunzi in aller Form zum General seiner Streitkräfte.

Warum heißt nun der zweite Key Indikator der Risikokultur im Englischen „Accountability“ – und nicht „nur“ Responsibility (= Verantwortung)? Accountability ist mehr: es ist die Rechenschaftspflicht, die Verantwortlichkeit. Was die Mädchen unterschätzt hatten, war, dass Sunzi zunächst seine eigene Verantwortlichkeit für die Übung bitter ernst nehmen würde – mit allen möglichen Konsequenzen nicht nur für sich selbst – ein unaufrichtiger Herrscher hätte Sunzi vielleicht verhaften lassen; man muss auch Sunzis Mut bewundern –, sondern auch für die Frauen und sogar den König. Sunzi hatte den beiden Lieblingskonkubinen nicht einfach nur zum Spaß Verantwortung übertragen, sondern er zog sie zur Rechenschaft, als sie den Drill beim zweiten Mal auch noch nicht mitmachten. Ihre Verantwortbarkeit hatten die beiden Mädchen nicht hinreichend ernst genommen. Angemessene Risikokultur muss auf der Accountability aller MitarbeiterInnen eines Unternehmens beruhen, insbesondere aber kommt dem Top Management und den Führungskräften eine besondere Verantwortlichkeit zu, denn sie müssen im Ernstfall wortwörtlich „den Kopf hinhalten“. Immerhin ist Strenge eine der fünf Tugenden des Befehlshabers (vgl. Blog 1). In welcher Armee herrscht die größere Gewissheit, dass Verdienste angemessen belohnt und Missetaten sofort geahndet werden? Auf welcher Seite wird die Disziplin strenger durchgesetzt? Diese Fragen gehören zum Katalog der Bedingungen, mit denen Sunzi Sieg oder Niederlage voraussagen kann. Accountability ist eine dieser wesentlichen Bedingungen. Letztendlich war der Adressat von Sunzis Übung der König selbst, der mit einer allzu spielerischen Einstellung an die Demonstration herangegen war und auch währenddessen nochmals intervenieren wollte – was Sunzi mit klarer Begründung ablehnte. Die Verbindlichkeit in der Übertragung der Verantwortung und die Konsequenzen der Verantwortbarkeit wurden dem König so überdeutlich vor Augen geführt. Als er diese Lektion begriff, ernannte er Sunzi zum General. (Das war wohl die erste kluge Handlung des Königs an diesem denkwürdigen Tag). Auch zeigt die Anekdote die Wichtigkeit klarer und offener Kommunikation: Ohne klaren tone from the top, ohne klare Vorgaben und Richtlinien könnte ein Manager niemanden zur Rechenschaft ziehen, außer sich selbst. Denn Aufrichtigkeit und Wohlwollen sind zwei weitere Generaltugenden des Befehlshabers. Das lässt uns schon Vorblicken auf den 3. Key Indikator der Risikokultur: „Effective Communication und Challenge“.     

Quelle: Sunzi, Die Kunst des Krieges, Knaur

 


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