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29. Januar 2019 — Neumayer Ethics Council

Sunzi und die 4 Key Indikatoren der angemessene Risikokultur - Blog 4

Incentives – variable Vergütung – Gratifikation – Bonus!¹ Dieses Worte lassen Bankerherzen höher schlagen. Jetzt – im Januar – ist ja gerade wieder Bonus-Saison.
In den Banken werden die Pools für 2018 verhandelt und in Q1 2019 ausbezahlt. Und kein anderes Wort fasst die Finanzkrise(n) angeblich so gut zusammen. Denn das Urteil der Öffentlichkeit – dem die Politik gerne folgt – ist längst gefällt: Die Boni der Gierbanker waren an allem Schuld! Immer bloß den nächsten Bonus vor Augen – so haben Banker die Geschäftsrisiken nur allzu gerne „übersehen“ und „gerade-noch-legal“ mit „ethisch-vollkommen-unbedenklich“ verwechselt. Der tiefere Sinn von Bonuszahlungen aber, so rechtfertigen sich Banken auch heute noch, ist es, Mitarbeiter für besonders erfolgreiche Geschäfte und herausragende Leistungen zu entlohnen und gleichzeitig zu verhindern, dass sie von der Konkurrenz abgeworben werden. „Wir müssen unsere besten Talente halten resp. neue Dealmaker anlocken. Das ist auch im Interesse unserer Shareholder“. Gänzlich unvernünftig oder unethisch ist dieser Ansatz ja nicht, sondern durchaus sinnvoll im Rahmen einer ökonomisch-nachhaltigen Geschäftsstrategie. Es kommt eben auf das WIE der Umsetzung an. Auch liegen mir Ironie und Hypokrisie ferne – denn ich war selbst einmal Investmentbanker, wenn hoffentlich auch kein unangemessen gieriger. 

Daher stellt sich im Zusammenhang mit der angemessenen Risikokultur nun die notwendige und schwierige Frage nach wirklich angemessenen Bonuszahlungen. 
Wobei „angemessen“ in unserem Zusammenhang hier nicht durch eine offene Diskussion über soziale Gerechtigkeit o. ä. bestimmt werden kann², sondern durch die aufsichtsrechtliche Anforderungen an eine ökonomisch-nachhaltige – d.h. die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens auf Dauer fördernde – Risikokultur. 
Und das bedeutet dann: Bonuszahlungen und Incentives dürfen nicht dazu einladen, unvernünftige Risiken einzugehen und unethisch zu handeln. Das finanziell übermotivierte Ego des Einzelnen oder von Teams darf nicht über dem wirtschaftlichen Gesamtwohl der Bank stehen – und das schließt die Interessen der Aktionäre und der Gesellschaft mit ein. Diese Lektion wurde schmerzhaft und in einigen spektakulären Fällen viel zu spät gelernt. Die BaFin erwartet, dass Incentives und ethisches Verhalten verknüpft werden. Es muss klar sein, dass unethisches Verhalten auch finanziell sanktioniert wird. 

Was aber schreibt Sunzi in der Kunst des Krieges über das Thema Anreize? Wie sollen Krieger belohnt werden? Und wie sollen sie bestraft werden, wenn sie die Vorgaben nicht einhalten? Konkrete Anweisungen hierzu sind in vielen der 13 Kapitel von Sunzis Abhandlung zu entdecken. Methode und Disziplin gehören zu den fünf konstanten Faktoren der Kunst des Krieges. Zur detaillierten Ausführung zählt neben der Organisation der Armee auch „die Kontrolle der militärischen Ausgaben“. Kriege – das macht Sunzi klar – sind äußerst kostspielig. (Daher ist es am besten – aufgrund echter oder vorgetäuschter (!) – strategischer Überlegenheit erst gar keinen führen zu müssen). Zu den sieben Testfragen, die Sunzi dabei helfen, den Ausgang einer militärischen Auseinandersetzung vorhersagen zu können zählt: „In welcher Armee herrscht die größere Gewissheit, dass Verdienst angemessen (sic!) belohnt werden und Missetaten sofort geahndet werden?“ Hier treffen wir zumindest in der deutschen Übersetzung sogar wortwörtlich auf „angemessen“. Angemessene Belohnung und angemessene Bestrafung gehen bei Sunzi stets Hand in Hand. Das sieht die BaFin übrigens genauso: Unethisches Verhalten muss Konsequenzen haben – und diese müssen allen MitarbeiterInnen bewusst gemacht werden. Auch darf es nicht eine Moral für die Angestellten geben und eine andere für den C-Level: Genau das meint Sunzi mit dem „Gesetz der Moral“, das den weisen Herrscher und seine Armee eint.

Vieles schreibt Sunzi zur Finanzierung eines Feldzuges. Beispielsweise: „Damit die Soldaten im Schlagen des Feindes einen Vorteil erkennen, müssen sie auch Belohnungen bekommen. Wenn du also beim Feind Beute machst, dann benutze sie als Belohnung...“. Oder: „Ein weiser General achtet darauf, beim Feind zu plündern. Eine Wagenladung Vorräte vom Feind entspricht zwanzig eigenen, und gleichermaßen ist ein einziges dan (= ca. 60 kg) von seinem Futter zwanzig aus dem eigenen Vorratslager wert“. (Ich überlasse es den LeserInnen als Übungsaufgabe diese Sätze businessethisch neu gedacht ins 21. Jahrhundert zu retten). 

Ich bin sicher, dass wir noch vieles von Sunzi lernen könnten. Doch wie weit reichen die Analogien eigentlich? Wenn nach Clausewitz „Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist“, sind dann Trade-Wars die Fortsetzung von gescheiterter Wirtschaftspolitik mit anderen Mitteln? Sind Großunternehmen wirklich Armeen und Vorstände Generäle? Sind Finanzminister Kriegsstrategen? Die Finanzkrise hat wesentliche ethische Defizite vieler Marktakteure aufgezeigt. Nicht viele haben „ehrenvoll“ gehandelt – und doch ist es gerade die Ehre und andere persönliche Tugenden, die Kämpfer zu Legenden werden lässt. Auch diese Gedanken werde ich vielleicht an andere Stelle einmal fortsetzen. 

Jedoch: „all good things must come to an end“ und daher endet an dieser Stelle nun unser vierteiliger Blog von „Sunzi und die angemessene Risikokultur“.  

¹ Englisch wird schon das Grundghalt als „compensation“ – wörtlich also als Entschädigung (!) (für die Mühsal?) – bezeichnet

² Als Ethik-Berater liegt mir die vielschichtige Frage nach einer sozial-angemessenen Entlohnung natürlich sehr am Herzen. Vielleicht werde ich dieses Thema in einem anderen Blog – aus einem anderen Blickwinkel – einmal erörtern. Regulatorische Ansätzen sind ein erster und wesentlicher Schritt. Der zweite Schritt besteht aber in einem Umdenken, das den Daseinszweck von Unternehmen nicht mehr alleine in der Profitmaximierung sieht, sondern hinführt zu Geschäftsstrategien, die ihre Existenz in der optimierten Integration der langfristigen Interessen von Shareholder, Angestellten, Kunden, Gesellschaft und Umwelt begründen. Geschäftlicher Erfolg ist demnach ein Produkt dieser ökonomisch-nachhaltigen Strategien – und kein Ziel mehr an-und-für-sich.  

 


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