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5. Februar 2018 — Neumayer Ethics Council

Sunzi und die 4 Key Indikatoren der angemessenen Risikokultur - Blog 1

Was hat Sunzi (auch: Sun-Tsu), der legendäre Verfasser der strategischen Abhandlung "Die Kunst des Krieges", mit "angemessener Risikokultur" zu tun,
— einen Begriff, den die BaFin jüngst in die MaRisk-Anforderungen neu eingefügt hat?

In einer Mini-Serie von 4 Blogs will ich einen Zusammenhang aufzeigen, zwischen den 2,500 Jahre alten strategischen Überlegen des Sunzi (ca. 544 v. Chr. – 496 v. Chr.) und den 4 Key Indikatoren der angemessenen Risikokultur.

Blog 1

Leitungskultur ("Tone from the top") und das "Prinzip der Moral" des Herrschers

Die Kunst des Krieges ist auf den ersten Blick ein Handbuch mit praktischen strategischen Ratschlägen für Befehlshaber, die Armeen führen und Schlachten zu schlagen haben. Dennoch hat Sunzi das Buch eigentlich für den Herrscher geschrieben, dem diese Generäle dienen. Und tatsächlich geht es nicht nur um die unmittelbare Kriegsführung – d.h. die eigentlichen Kampfhandlungen –, sondern auch um die sorgfältige Vorbereitung und Planung. Dabei bringt Sunzi, modern gesprochen, Kriegs-Logistik, Finanzierung und psychologische Kriegsführung (Propaganda) bis hin zur Bedeutung der Spionage in den Blick. Letztendlich geht es Sunzi um Risikoreduktion: Die besten Schlachten sind jene, die aufgrund der Vorbereitungen gewonnen werden – und erst gar nicht mehr stattfinden (müssen); der Feind gibt im besten Fall schon vorher auf. So gesehen ist die Kunst des Krieges ein Buch über Risikomanagement.

Die MaRisk fassen die Anforderungen an das Risikomanagement von Kreditinstituten zusammen. In die jüngste Neufassung der MaRisk hat die BaFin nun Anforderungen an eine "angemessene Risikokultur" mit aufgenommen – und verweist in Publikationen auf 4 Key Indikatoren, die so auch schon von anderen Institutionen beschrieben wurden (Basler Komitee, FSB usf.):

  • Leitungskultur ("Tone from the top")
  • Verantwortlichkeiten der Mitarbeiter (Accountability)
  • Offene Kommunikation und kritischer Dialog (Effective Communication and Challenge) sowie
  • Angemessene Anreizstrukturen (Incentives).

Sunzi wiederum beschreibt in der Kunst des Krieges beispielsweise folgende 
5 Tugenden des idealen Befehlshabers:

  • Weisheit
  • Aufrichtigkeit
  • Wohlwollen
  • Mut
  • Strenge

und als einen von 5 konstanten strategischen Faktoren das sogenannte "Gesetz der Moral" (des Herrschers).

Es gibt einige interessante Analogien zwischen seinen Tugenden und Faktoren einerseits und den Key Indikatoren der Risikokultur andererseits, zu entdecken. Diese Analogien sind nicht zufällig, denn es geht ja in beiden Fällen sowohl um persönliche Anforderungen an die Risikomanager als auch um die Organisation der Risikoprozesse (Entscheidungsprozesse, Kommunikations- und Fehlerkultur usf.).

Sunzi schreibt von der Kunst des Krieges. Das alleine ist schon bemerkenswert, denn wenn uns auch das Wort "Kriegskunst" geläufig ist, konnotieren wir Krieg nicht zu allererst mit Kunst. Ebenso überraschend ist die Verbindung von Risiko und Kultur in Risikokultur. Krieg und Kunst – Risiko und Kultur: Beide Kombinationen weisen auf jene Menschen hin, die Krieg zu organisieren resp. Risiko zu managen haben. Risikokennzahlen werden von Computern berechnet, die Risikokultur muss aber von Menschen gepflegt werden. Und Sunzi beschreibt einleitend keine Kriegsmaschinen, sondern die Tugenden des Heerführers. Kriegskunst und Risikokultur: Beides setzt notwendig bei den inneren Einstellungen und Haltungen der Verantwortlichen an.

Leitungskultur ("Tone from the top") und das "Prinzip der Moral" des Herrschers

Das Gesetz der Moral veranlasst die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig übereinzustimmen, so dass sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr schrecken lassen“. Sunzi beschreibt eine Harmonie und Übereinstimmung zwischen Herrscher (Management) und den Untergebenen (Mitarbeitern). Es bewirkt bei den Mitarbeitern eine Loyalität mit dem Management und bestärkt sie, gerade auch in schwierigen Situationen, angemessen und engagiert zu handeln. Es erinnert stark an den "Tone from the top" der angemessenen Risikokultur und die positive Resonanz und Bewusstseinsbildung, die er in den inneren Einstellungen der Mitarbeiter bewirkt. 

Das "Gesetz der Moral" ist daher vielleicht verständlicher als "Prinzip der Moral" oder "harmonisches Prinzip" zu übersetzen; in jedem Fall muss es vom Herrscher selbst verkörpert werden. Das wird u.a. daran deutlich, dass Sunzi als erste von sieben Bedingungen, mit denen man Sieg oder Niederlage voraussagen kann, die Frage stellt: „Welcher der beiden Herrscher handelt im Einklang mit dem Gesetz der Moral?“ (wörtlich: (…) istdurchdrungen vom Gesetz der Moral?)

Das Bild von Harmonie und Einklang passt sehr gut zum Anspruch an die Führungskultur im Sinne der MaRisk: Der "Tone from the top" sollte ein harmonischer Klang sein, den die Mitarbeiter gerne vernehmen und in den sie alle einstimmen können. Auch wird deutlich, dass der Leitungston von höchster persönlicher Moral des Herrschers geprägt sein muss – sonst wäre er nicht harmonisch, sondern nur ein Misston. Unethisches, das mit unangemessener Macht erzwungen wird, wird nicht dauerhaft gut klingen, d.h. erfolgreich sein. (Von raschen Erfolgen sollte sich niemand blenden lassen). Das Kapitel über Taktik beendet Sunzi jedenfalls mit den Worten: „Der vollendete Anführer hütet das Gesetz der Moral und achtet streng auf Methode und Disziplin; so liegt es in seiner Macht, den Erfolg zu bestimmen“. 
Besser könnte es auch die BaFin für die Leitungskultur nicht formulieren.

Quelle: Sunzi, Die Kunst des Krieges, Knaur


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